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Meltingpot.

Zehn oder zwölf oder manchmal auch zwanzig: große Bullaugen schauen Dich fragend an. Was willst Du hier? Hast Du mir etwas mitgebracht?

Waschsalons sind auch so merkwürdige, ambivalente Einrichtungen. Oft gesehen, daran vorbeigelaufen, registriert aber ignoriert, unterschätzt zumeist. Dabei trifft sich hier die Welt. Und wie überall ist auch hier die Ungleichzeitigkeit der Welt zu spüren, zu erleben.

Einerseits sind sie Einrichtungen mit einer direkt greifbaren Dynamik - hier ist immer was los, hier dreht sich was.  Die Waschmaschinen rattern, schleudern, waschen. Die Trockner werfen die Wäsche hin und her und machen ihr Ding – sie trocknen. Mal zehn, mal zwanzig, mal dreißig Minuten, auf 30, 60, 80 Grad. Man geht halt waschen, auch bei „Gehwaschen“ hier in Siemensstadt.

Gleichzeitig laufen draußen Menschen vorbei, essen im Gehen, schauen auf ihr Smartphone, kreischen, rufen, labern. Autos fahren vorbei, LKW-Fahrer hupen, Lieferdienste versperren den Weg.

Und wiederum gleichzeitig bleibt hier drinnen die Zeit stehen. Mit Öffnen der Tür tritt man ein in eine neue Welt. Waschsalons sind wie eine Art sozialer Meltingpot. Hier trifft sich Hinz und Kunz und das Sprachengewirr ist fast babylonisch. 

Die Bedienungsanleitungen sind mindestens zweisprachig, und die Große Schrift hilft auch denjenigen, die nur noch schlecht sehen können. Ein Wechselgeldautomat sorgt für Menschen mit großen Scheinen.

Manche Leute kommen rein, schauen, grüßen.- Andere kommen, stopfen ihre Wäsche in die Maschine, schütten Waschpulver hinterher, bezahlen und gehen wieder – wortlos. Die Wartenden schauen hinterher, schütteln den Kopf oder haben noch nicht mal registriert, dass da jemand kurzfristig anwesend war. 

Ein Vater stopft mit seinem Sohn eine riesige Türkendecke (erkennbar an der eingestickten Flagge mit dem Halbmond) in die große Maschine für Hundedecken, klopft seinem Sohn auf den Hinterkopf, lässt sich die Bedienung erläutern und verschwindet in den nächsten Kiosk.

Viele Wäscher und Wäscherinnen warten jedoch auf die erlösenden Piepstöne der Maschine. Zum Zeitvertreib haben einige Stammkunden Bücher hinterlassen – so wird ein Waschsalon auch noch zum Leseclub

Nur wenn die Maschine wieder stehen bleibt, dann wirds wieder wuselig: Wäsche aus der Trommel holen, umpacken, den Trockner starten. Wieder warten – während andere Wäsche fertig ist. Manche Leute falten ihre Wäschestücke ordentlich, fast schrankfertig, auf. Andere stopfen die nassen Klamotten in eine Plastiktüte und verlassen anscheinend fluchtartig das Etablissement. Was sie wohl treibt? Steht zuhause der Topf auf dem Herd? Muss der Hund Gassi gehen? Ist das Pils schon angezapft? Wir wissen es nicht. Und auch die Bullaugen schauen ratlos, meinungslos und warten auf baldige erneute Befüllung.

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Kommentare: 1
  • #1

    Christine Pohl (Samstag, 30 Dezember 2023 10:57)

    Hallo Herr Sauer, dieser Waschsalon am Jungfernheideweg ist wie eine Oase im Gedränge der Zeit. Wenn sich die Maschine dreht, kann der Mensch zuschauen. 35 Minuten. Nichtstun. Die Reinigung der Wäsche ist Arbeit genug. Ein Junggeselle bringt die Wochenwäsche. Karierte Hemden. Bettbezüge. Socken. Ein Flasche Bier vor der Tür. Er schaut erleichtert. Geschafft. Heute. Eine türkische Mutter schleppt zwei Tragetaschen Familienwäsche. Angestrengt. Was kann sie zwischendurch erledigen? Das Kind bei ihr drängt zum Bäcker gegenüber. Ihr bleibt wenig Zeit. Und das Renterpaar mit den Gardinen von gegenüber. Endlich haben sie es geschafft. Abnehmen.Putzen. Waschen. Aufhängen. Er knurrt. Sie schaut weg. In der Frühlingsluft gehen sie rüber ins Melody. Zeit für einen Kaffee. Selten bietet sich mir die Gelegenheit zu so viel Leben in 35 Minuten.

    Ich habe mich über Ihre Redaktion auf den Schaukasten der Schreibwerkstatt Siemensstadt sehr gefreut. Eine Einladung zum Neujahrsempfang sende ich Ihnen über die Kiezadresse. Wir freuen uns, Sie kennenzulernen. Herzlichen Gruß.