Das Schnitzel: paniert. Die Kartoffeln: gekocht. Die Sauce: cremig, hollandaise. Der Spargel: das deutsche Gemüse - überschätzt und oft holzig. Hier jedoch: butterzart. Das zweite Glas Wein: Grauburgunder. Der Schnitt ins Schnitzel: energisch, mit Druck, mit Nachdruck, mit Verve. Das Gericht scheint dem Schnitzelzerteiler zu schmecken. Immerhin bleiben negative Kommentare bisher aus.
Ich hatte ihn schon eine ganze Weile beobachtet. Er kam, setzte sich etwas abseits, faltete seine Zeitung auseinander - ja, es gibt sie noch, die Papierzeitungsleser, las, schüttelte den Kopf, grummelte vor sich hin, blätterte um, las, schüttelte den Kopf, brummelte vor sich hin, blätterte um. Er stöhnte auf, schloss die Augen, holte tief Luft, faltete seine Zeitung zusammen und legte sie neben sich auf die Holzbank.
Der Mann kommt fast täglich hier in den kleinen Biergarten. Mal ist er gesprächig und schwätzt mit der Bedienung, mal nicht. Mal ist er gut gelaunt, dann mal nicht. Manchmal scheint er gelaufen zu sein, ein anderes Mal stellt er sein Fahrrad ab. Ab und an kommt er offensichtlich direkt von zuhause oder vom Einkauf.
„Nein, ich sag nichts zur Politik.“ Mit festem Blick schaut er mir in die Augen.
„Jeder Kommentar wäre justiziabel“, lacht er dann. „Denn die sind alle bekloppt geworden!“
Mein Widerspruch: nur halbherzig.
Der Schnitzelmann schaufelt Kartoffeln und Spargel, spült mit einem kräftigen Schluck Wein hinterher.
Aufgrund seines heftigen Kopfschüttelns hatte ich ihn gefragt, was ihn so erzürne.
„Weißt Du“, nimmt er den Faden wieder auf, „ich war immer politisch interessiert und engagiert. Fast ein halbes Jahrhundert lang. Schon in der Schule. Anfangs Schülerzeitung, später Schulsprecher. Dann Anfang der Siebziger für Willy auf die Straße gegangen. Gewerkschaft: mit 17, mit Beginn der Lehre eingetreten. Doch bevor ich die silberne Medaille bekam, wieder raus. Ich war inner Partei, hier und da und dort, und immer mittendrin - wo immer auch einer gebraucht wurde, irgendwann raus aus. dem Laden. Denn mittlerweile - na, ich will nicht alle über einen Kamm scheren, es gibt auch noch ein paar ehrliche Figuren. Aber viel zu viele Claqueure, Postenjägerinnen, halbgebildet und meinungsstark aber ohne Hintergrund. Hohl und leer, aber doppelt so aufdringlich wie erträglich wäre. Vor kurzem kam ich angesichts der allgemeinen Lage in Versuchung, dachte, ich sollte mich wieder einbringen und bin zu einer Parteiversammlung hingegangen. Man könnte ja wieder eintreten... Nach ner Stunde hab ich fluchtartig das Etablissement verlassen. Ich halte das im Kopf nicht mehr aus. Und dann erst die oberste Spitze - die Bundesregierung.“
Er schüttelt sich, nimmt einen Schluck.
„Immerhin gibt es doch noch viele Menschen, die sich in unserer Demokratie in Städten und Gemeinden engagieren und auch wenn ich weder die einen noch die anderen gewählt habe, so muss man der neuen Regierung doch erstmal einen Vertrauensvorschuss geben und hoffen, dass es in diesem Land vernünftig weitergeht“, versuche ich auch mal etwas positives zu sagen.
„Ist ja nett gemeint und vielleicht hast Du recht“, prostet er mir zu und bestellt zwei weitere Gläser.
„Aber ehrlich gesagt, gruselt es mir vor den nächsten vier Jahren - und vor allem, wenn ich die ganze Chose weiterdenke. Schau Sie dir doch an: Spähnchen und Linnemännchen, dazu der bayrische Dödelbrindt und die Weinkönigin. Mein Gott! Und die Typen vom Schlage des Sauerländer Mini-Trumps, die kenne ich zur genüge. Dreist und… nee, mehr sag ich nicht. Was ist denn, wenn sie die Sozen aus dem Kabinett ekeln? Wer steht dann schon mit einem Fuß in der Tür? Die ganze blau-braune Scheiße. Ich reg mich nur auf. Hat mir mein Arzt verboten. Bin gerne dabei, bei jeder Demo. Aber wenn das Wahlvolk so blöd ist, wie es nun mal ist, dann tut’s mir nicht leid, denn ich weiß auch nicht weiter."
Er dreht sich um, bestellt Dessert und Käse für uns beide.
Am nächsten Tag sehe ich sein Konterfei im TV. Der Kommentar. Klar und deutlich. So ganz kann er wohl doch nicht davon lassen Klartext zu sprechen, der alte Schülersprecher. Hat die Hoffnung wohl noch nicht aufgegeben.
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