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Neujahr

Dreißig Meter unterhalb der Terrasse rollen die Wellen immer und immer wieder vom Nordatlantik heran, schlagen über die Felsen in der Mitte der Bucht, drängen weiter durch die engen Kanäle zwischen den Felsen. Mit weißer Gischt rauschen sie an den steinigen Strand, schieben Steine den Strand hinauf, die beim zurückweichen des Wassers mit Getöse zurückrollen. Kurze Zeit der Erholung, schon warten draußen neue Wellen im Sekundentakt, das Spiel läuft erneut. Tageintagaus. Es rauscht, das Meer. Macht rauschend. Man kann sich nicht satt sehen, obwohl das doch immer das Gleiche ist. Wellen, Gischt, Rauschen, Rollen, Wellen…

Den Knopf im Ohr mit der Zeitung auf dem Display liegt der Mann am Pool, schaut auf die Überschriften, die Artikel und die Bilder von Flut und Kälte und Schnee und Blitzeis. Er cremt sich Hände und Gesicht ein, zieht den Sonnenschirm ein paar Zentimeter heran. Links neben ihm steht ein kaltes Bier, kurz angetrunken. Es ist Neujahr, mittags. Im Ohr ertönt der Donauwalzer. Er lächelt. Dann der Radetzkymarsch. Genau, das gehört zu Neujahr dazu- das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Da können unentspannte Zeitgenossen sagen, was sie wollen, irgendwie ist das schon cool, dass dieses Format schon seit so vielen Jahren läuft und auch bei Hartgesottenen nostalgische Gefühle hervorruft. Wie auch immer. Früher hat der Mann am Pool auch nur den Kopf dazu geschüttelt. Hat auf die Dekadenz und die politische Instrumentalisierung der Musik in den dunklen deutsch-österreichischen Zeiten verwiesen. Aber er hat zugehört. Hat damals, als schon die Eltern das Konzert hörten, die Musik ertragen. Und dann, danach, mit den Jahren, die Musik nach und nach immer mehr gemocht. Neujahrsmittags, mit dem Resteessen des Silvestermenüs.  

Am besten jedoch, da ist er sich sicher, am besten zu hören und mit einem Lächeln zu quittieren lässt sich das Konzert auf der Liege am Pool, bei 23 Grad, im Schatten des Sonnenschirms, leichtem Wind, kühlem Bier und der Aussicht, das Jahr mit Paella, vino tinto und queso de cabra zu beginnen. Ja, so geht’s auch. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Inge (Dienstag, 16 Januar 2024 22:47)

    Wie hast Du Deine
    Neujahrs-Empfindungen toll beschrieben - einfach super � Ich kann mir richtig gut vorstellen wie Du so auf der Liege am Pool liegst und sinnierst �
    Weiter so, freue mich auf weitere Texte �noch schöne Zeit und gute Rückreise ✈️
    Liebe Grüße von uns