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Der Zustand der Republik ist besorgniserregend.

 

Nahezu täglich erscheint die absolut lesenswerte „Seuchenkolumne - Nachrichten aus einer vervirten Welt“ als Blog von Armin Thurnher, dem Herausgeber der Wiener Wochenzeitung „Falter“. Mein nachfolgender Text ist auf Grundlage einer aktuellen Kolumne (hier) entstanden, da sich meines Erachtens viele Parallelen zwischen Österreich und Deutschland beobachten lassen. 

 

Der Zustand der Republik ist besorgniserregend. 

Fast täglich diskutiert man zuhause oder mit Freundinnen und Freunden darüber, wohin sich das alles entwickelt und wie und ob es unaufhaltsam sei. 

Es steuert, glaubt man den Umfragen, auf einen Erdrutschsieg der AfD bei Landtagswahlen im kommenden Jahr zumindest in Ostdeutschland zu. Im Jahr danach steht die Bundestagswahl vor der Tür – mit der nationalbolschewistischen Wagenknecht als zusätzlicher Horrorpartei.

Im Mittelpunkt des politischen Desasters steht - wie immer seit den 1990er Jahren - die Migrationsfrage. 

Als linksliberal denkender politischer Mensch, als Grüner, als Humanist wird man dabei automatisch der Gutmensch-Fraktion zugerechnet, die schrankenlose Zuwanderung fordere.

Das ist zwar mitnichten so und war es auch nie. 

Um mal jemand unverdächtigen zu zitieren – der als links geltende österreichische Journalist und Autor Armin Thurnher schrieb schon zutreffender weise im September 2015:

„Es können nicht alle kommen, wer kommt, muss sich legitimieren und seinen Einwanderungswunsch begründen. Dass Asyl und Flucht vor Verfolgung dabei vorrangig und keinesfalls abschlägig zu behandeln sind, versteht sich.“ 

Nun lasse ich mich ja gern einen Gutmenschen nennen. Denn Gutes zu tun ist erstmal nichts abwegig Schlechtes, oder? Aber das Gutmenschentum geht nicht so weit, dass man der AfD zu einer unabweisbar starken Position in den Parlamenten und somit auf die politischen Entscheidungen in unserem Land verhelfen möchte. (Leider ist die Befürchtung nicht ganz unbegründet, dass das unvermeidlich ist und kommen wird.)

In dem Zusammenhang: Früher haben wir uns über Auswanderungspläne den Kopf geschüttelt. „Hier bleiben und sich für eine bessere Welt einsetzen“, war immer die Devise.

Mittlerweile frage ich mich jedoch selbst, aber auch enge Weggefährten, wohin man im Fall des Falles emigrieren möchte oder könnte. In die demnächst wieder von Trump regierten USA? In die ebenfalls weiter nach rechts driftende und sich abschottende Schweiz? Frankreich? United Kingdom? Ah, geh weg. Selbst die Skandinavier machen dicht. Die Welt wird eng. 

Was also tun und wie den Leuten erklären, dass die Rechten nur Parolen skandieren, Verfassung, Menschenrechte und Demokratie verachten – und wenn sie etwas vorschlagen, dann das mit Sicherheit Falsche?

Einerseits ist schon die Fragestellung ein Teil des Problems. Die Frage, wie mit Weidel/Chrupalla/ Höcke umzugehen ist, wird in Parteien und Medien weniger politisch als vielmehr taktisch gestellt. Das aber bedeutet, dass all die Schlaumeierinnen und Besserwisser zwar ebenfalls Parolen produzieren, aber definitiv keine handfeste Politik machen.

So versuchen SPD wie Grüne, wie CDU und FDP den eigentlichen „Elefanten im Laden“ weiterhin klein zu reden und rosarot anzumalen. Aber der „Elefant im Raum“ ist eben die Migrationsfrage, die lässt sich nicht mit Farbe verkleistern - und die AfD braucht sie nicht einmal mehr laut zu stellen, um in den Umfragen immer weiter nach oben zu klettern. Die FPÖ in Österreich, die SVP in der Schweiz, Meloni in Italien, Le Pen in Frankreich usw usf. Alle scheinen der blaubraunen Kloake Recht zu geben.

Dazu haben wir eine Medienlandschaft, die aus all den Jahren rechter Rattenfängerei kaum etwas gelernt hat.

Umso verrückter scheint es, wenn die politische Konkurrenz der AfD den Elefanten nicht beleuchtet, das Problem deutlich konturiert und Lösungsansätze schonungslos zur Debatte stellt. Man kann und muss dabei durchaus auch eigene Fehler zugeben. Aber man darf nicht den Eindruck entstehen lassen, dass man die Grenzen des eigenen Staates und die Grenzen Europas nicht schützen will. 

Es braucht gerade von Grünen, aber auch den anderen demokratischen Parteien, vor allem ein politisches Konzept: Wer den Regeln entsprechend kommen darf, muss menschenwürdig behandelt werden. Integrationsansprüche müssen gegenüber den Eingewanderten ernsthaft gestellt und ihre Einhaltung muss überwacht werden.

Die Rechtsextremen haben eine Art Konzept: eine Mischung aus völkischem Appell an die unterdrückte Herrenrasse der unterprivilegierten Deutschen, gepaart mit Feindschaft gegenüber allen Facetten der Aufklärung sowie mit rechtslibertären Sehnsuchtsflausen nach dem starken Mann.

Chrupalla - der starke Mann? Weidel – die starke Frau? Da müssen selbst die Rechten lachen. Aber: über wie viele starke Männer hat man erst gelacht, ehe sie es wurden?

Sie werden ihr Bild der „Echten, Wahren, Konsequenten“ nur dann aufrechterhalten können, wenn ihnen politisch keine Konzepte entgegengestellt werden. 

Es gilt, ein handfestes Programm zu präsentieren, das die Realität nicht ignoriert.

Leider sieht man immer weniger politische Figuren an der Spitze, vor allem der Grünen, aber auch der SPDCDUFDP, die ernsthaft Humanität und Ordnung zusammenbringen können und wollen. Gerade die Grünen katapultieren sich mit einer dahin dilettierenden Bundesvorsitzenden Lang, mit Heckenschützen und Politveteranen eines Schlages wie Trittin, mit politischen Wirrköpfen und Leichtmatrosen in der Bundestagsfraktion selbst aus der ernsthaften Debatte. Lediglich Vizekanzler Habeck ist ein Lichtblick, der sich ernsthaft bemüht, doch kann auch er nicht an alle Ecken und Enden stets rechtzeitig zur Stelle sein. Muss man also die Hoffnung auf so etwas wie ein politisches Programm, das auf der Höhe der Zeit liegt, aufgeben?

Die schrägen Figuren der AfD wird man nur dann als Gaukler und Vertreter/innen von politischem Humbug hinstellen können, wenn das Problem der ungezügelten und irregulären Migration benannt und mit einem glaubhaften Konzept eingehegt wird. Ähnliches gilt für alle anderen Themen ebenso. 

Aber keines scheint so dringlich wie dieses.

 

Ich danke Armin Thurnher für die freundliche Erlaubnis, einige Gedanken und Formulierungen übernehmen zu dürfen. 

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