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Ein anderes Universum

Durch eine Zeitschleife in ein anderes Universum geraten:

KÖLN, COLOGNE, COLONIA

 

Quälend langsam schleicht der Zug über die immer noch nach der Familie des letzten deutschen Kaisers benannte Brücke. Vor über hundert Jahren während dessen Regentschaft erbaut, führt sie heute ins Zentrum der einzigen Millionenstadt am Rhein. Gebogene Stahlträger scheinen stabil und unverwüstlich, zeugen sie doch auch gleichzeitig von Ingenieurskunst und Zukunftsideen. Die Stadt selbst wähnt sich auch einerseits mit noch weiter zurückreichenden Wurzeln im Römerreich, und gleichzeitig moderne Metropole mit Zukunft zu sein. Warum jedoch immer noch an alten Bezeichnungen dubioser Herrscherfamilien festgehalten wird, mag sich nicht allen Betrachtern und Betrachterinnen erschließen. Modernität könnte hier schon dem auswärtigen Gast beim Hineingleiten in die Stadt demonstriert werden - demokratische Heroen gab es zu allen Zeiten auch im Rheinland. 

Quietschend schieb sich der 200 Meter lange Koloss im Schritttempo weiter. Fahrgäste wähnen sich bald am Ziel, packen Taschen und Koffer, rempeln sich gegenseitig im Gang und stehen erwartungsvoll vor den Türen. Es wird noch dauern, so viel weiß der erfahrene Mitfahrer.

Lastkähne, Tankschiffe, Flusskreuzfahrtschiffe und Ausflugsboote ziehen ihre Bahn auf dem Wasser unterhalb der Brücke, die Stahlträger erlauben nur einen kleinen schmalen Blick. Ein reges Gewimmel auf den Fußgängerwegen am äußeren Rand weist auf den nahen Abend hin. Feierabendwütige, nach Hause strebende, den Abend genießende Junge und Alte eilen von der Altstadt auf die Schälsick und umgekehrt. Dort wo ein freier Blick möglich wäre, sind hunderte, ja tausende Vorhangschlösser an den Gittergeländern befestigt. Wer auch immer diesen Unsinn begonnen hat und wer auch immer diesen Unsinn weiter betreibt - dies scheint eine unerklärliche Verhaltensweise bestimmter Menschengruppen zu sein, die bisher noch viel zu wenig von der forensischen Psychiatrie, Verhaltensforschern oder Anthropologen erforscht wurde. 

Langsam aber unaufhaltsam schiebt sich dann endlich das bekannteste Bauwerk der Stadt ins Sichtwelt. Rot glänzend von der untergehenden Sonne angestrahlt. D'r Dom. Heimstatt des dicken Pitter und so unrühmlicher Figuren wie den Kardinälen Meisner oder Woelki. Seit 1248 im Bau, angeblich 1880 vollendet - aber immer noch Dauerbaustelle. Alles, aber auch alles bezieht sich in dieser Stadt  auf dieses sakrale Monument - das Bier (es gibt eine eigene Biermarke mit der Bezeichnung), das Heimweh, die Güte der Wohnung ("von meinem Balkon kann man die Domspitzen sehen"), Lieder der ortsansässigen Musikgruppen mit Texten im Eingeborenen-Slang - vor allem aber der Tourismus. Ohne diese gewaltige Kirche, den ausgestellten Knochenstückchen und der erfundenen Geschichte von 11.000 Jungfrauen wäre hier wahrscheinlich nicht viel los zwischen Bonn und Leverkusen. Touris kommen natürlich vor allem um die 157 Meter höhen Türme zu sehen und zu besteigen. Dem Selbstbewusstsein der Einheimischen, die ihre für fremde Ohren meist unverständliche Mundart pflegen, tut dies jedoch keinen Abbruch. Im Bewusstsein, dass d'r Dom für viele Experten das perfekte Gotteshaus darstellt und für viele Pilger den Mittelpunkt der Welt bedeutet,  ist die Stadt sich selbst genug, ein eigenes Universum. Abgekapselt um sich selbst kreisend, mit Karneval und Ziegen-Fußballverein, mit Blutwurst und als "halben Hahn" bezeichneten Käse, mit Bap und Brings und Poldi. Mehr braucht's nicht für echte Kölsche. Skuril, das schon - aber liebenswert.

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