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Alles frisch?

 

Hat Mensch ein gewisses Alter erreicht, sagen wir 50, oder 60 oder auch 65, so kann er oder auch sie in der Regel auf mannigfaltige Erfahrungen zurückblicken. Man hat viel erlebt, viel gesehen, viel diskutiert, viel gelernt. Zumindest Letzteres sollte Ziel der Anstrengungen sein. Denn Lernen hört eigentlich nie auf, jedenfalls für offene, lebenshungrige Zeitgenossinnen und -genossen. Mensch weiß, es gibt auch andere, aber das ist eine andere Geschichte.

Hat Mensch also ein gewisses Alter erreicht, ist es manchmal schwer, diese Erfahrungen und das Gelernte nicht ungefragt weiterzugeben. Man steht dann irgendwann ja sowieso latent im Verdacht, Vieles, wenn nicht Alles besser zu wissen, besser wissen zu wollen, besser zu können. Also beißt man sich zuweilen auf die Zunge und hält die Klappe. Dass man als Besserwisser kaum Freunde hat, wusste schon Homer Simson.

Aber es fällt schwer. Es fällt besonders schwer bei dem, was uns Menschen vom Tier unterscheidet: bei der -hörbaren - Sprache. Jedoch auch bei der Schriftsprache als sichtbarem Ausdruck unserer Kommunikation. Diese Schriftsprache unterliegt gewissen Regeln, die zwar veränderbar, aber zumindest eine bestimmte Zeitlang allgemein gültig sind. Zur Not schlage man im Duden nach (oder dem digitalen Äquivalent).

Jetzt weiß der Schreiber nicht genau, ob Orthografie und Grammatik noch in und an den Schulen gelehrt werden. Angesichts der Fehlerhäufigkeit in deutschen Presseerzeugnissen mag er dies durchaus bezweifeln dürfen. Die geneigte Leserin zücke bitte einen Rotstift und nehme sich eine stinknormale deutsche Tageszeitung vor. Es ist ein Grauen, soviel sei schon vorab gesagt. 

Sicher, vor Flüchtigkeitsfehlern ist niemand gefeit, auch der Schreiber dieser Zeilen nicht. Kommt vor - er bittet um Entschuldigung für die beschlagene Brille, die einer gewissenhaften Korrektur im Wege stand.Und das wird auch wieder vorkommen, sei gewiss. Aber er will damit ja auch kein Geld verdienen. Im Gegensatz zu profitorientierten Unternehmen.

Hin und wieder läuft er als aufmerksamer Fußgänger durch deutsche Städte, wie zuletzt in Düsseldorf, achtet nicht nur auf Ampeln und rote Ampeln ignorierende Rowdys, auf E-Scooterfahrende und Döneressende, sondern auch auf geschriebene Worte an Wänden - und wurde fast vom Schlag getroffen.

"Alles frisch. Außer die Preise"

Eine Reklametafel brüllte ihre Losung entgegen. In blauen Lettern auf gelbem Grund. Edeka eben.. 

Da mochte er sich seinem Drang hingeben, die Verantwortlichen Werbeleute zu schütteln und sie nochmals in die Grundschule zu schicken.

"Wie war das mit dem Akkusativ???" 

Der latent vorhandene Oberlehrer frohlockte selbstverständlich. 

"Wenn schon, dann muss es richtigerweise heißen: 'Alles frisch. Außer den Preisen.' Und da nur Übung den Meister macht, schreiben Sie den Satz bitte  einhundertmal auf. Und wenn Sie damit fertig sind, dann schreiben Sie noch einhundert mal folgenden Satz  auf: 'Ich werde nie wieder schlechtes Deutsch schreiben'". 

"Stimmt doch, oder?", fragt der Schreiber Zustimmung erheischend in die interessierte Runde. "Gegen Wortwitze und intelligente Wortspiele ist nichts einzuwenden. Doch eine Orientierung an der Straßensprache aus Berlin-Neukölln - sollte die nicht doch unterbunden werden?" 

Allerdings fragte sich weiterhin der interessierte städtedurchstreifende Beobachter, ob ein solcher Werbespruch unter anderem ein Ergebnis der Bildungspolitik der vergangenen 40 Jahre sein könnte. Nachdenklich, kopfschüttelnd und einigermaßen konsterniert gab er sich anschließend den regionalen Spezialitäten hin und spülte das Unverständnis hinunter.

Tags drauf besuchte der Schreiber dieser Zeilen zufällig eine Veranstaltung ebenjener Bildungspolitiker- und -innen. Ungefragt wurde an einer Stelle mitgeteilt, neuere Untersuchungen hätten ergeben, dass in Nordrhein-Westfalen 20 - 25 Prozent der Schulabgänger und -innen nicht, oder nicht richtig schreiben und lesen könnten - und somit eben auch nicht ausbildungsfähig seien. 

Siehst Du, sagte sich da der Beobachter, ich sag es doch: Das Problem ist bekannt. Mehr aber auch nicht.

Und für ihn ist es überhaupt fraglich, ob heutzutage Schule als Institution gegen die allgemeine Verflachung bestehen kann, wenn RTL, Bild, tiktok youtube und Rewe und wie sie alle heißen, dagegen halten mit ihrer Sprachverhunzung. Die sind im allgemeinen wesentlich cooler sind besitzen mehr Reichweite.

Der Schreiber, Beobachter, Mensch im gewissen Alter, latenter Besserwisser wirkt ratlos. Hören, oder sogar lesen will den (Rat) sowieso keiner (mehr).

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Gabi (Freitag, 26 August 2022 13:02)

    Wo Du Recht hast, hast Du eben einfach Recht! Sonnige Grüße … noch aus Detmold �